Vom Spielplatz in die Führungsetage: Elterliche Kompetenzen als Karrierevorteil

Jul 07, 2024

Drei von vier Frauen werden Mütter. Sie nehmen durchschnittlich etwa 14 Monate Elternzeit in Anspruch, Väter hingegen etwa drei Monate.
Viele Eltern und Sorgeberechtigte empfinden diese Phase als Karriereunterbrechung und übersehen, dass sie in dieser Zeit wertvolle Führungs- und Managementkompetenzen erwerben. 
Wir möchten sie ermutigen, diesen Gewinn an Skills, Resilienz und Organisationsfähigkeit bewusst zu erleben und als Karrierevorteil zu positionieren. Kinder sind kein Grund, Karriereträume aufzugeben, sondern der Umgang mit ihnen kann behilflich sein, diese sogar noch besser zu verwirklichen.


Inside Insights: Auf den Punkt gebracht

Elternschaft bringt intensives Lernen und persönliche Weiterentwicklung mit sich. Dies geschieht oft implizit, aber viele Fähigkeiten sind klare Vorteile für die Karriere:

  • Organisation und Zeitmanagement: Das Balancieren zwischen Kinderbetreuung, Beruf, Freunden, Familie und Haushalt fördert die Fähigkeit zu planen und zu priorisieren - unverzichtbar als Top-Leaderin im Unternehmen.
  • Kommunikationsfähigkeit: Die Interaktion mit Kindern lehrt uns Perspektivwechsel, denn Lösungen müssen aus der Perspektive des Kindes entwickelt werden. Perspective Taking Capacity – also die Fähigkeit, die Bedürfnisse anderer zu verstehen, ist eines der wesentlichsten Merkmale erfolgreicher Führungskräfte.
  • Konfliktlösung: Der Umgang mit kindlichen Konflikten fördert das Denken in kreativen Lösungen und unkonventionellen Verhandlungstaktiken. Beides erweitert im beruflichen Kontext das Spektrum, konfligierende Interessen in Einklang zu bringen.
  •  Empathie und Führungsstärke: Eltern und Sorgeberechtigte entwickeln häufig tiefes Verständnis und Mitgefühl, was auch im Arbeitsumfeld zu einem empathischeren und effektiveren Umgang mit Mitarbeitenden führt und Voraussetzung für psychologische Sicherheit in Team ist.  

Behind the Scenes: Expert*innen-Perspektiven 

Dr. Stephanie Robben-Beyer ist Executive Coach, Moderatorin, Keynote Speakerin und Autorin u.a. von "Family Business". Seit Jahrzehnten beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema elterliche Kompetenzen im Beruf, hat zahlreiche Interviews dazu gegeben und unterstützt als Coach.  

Liebe Stephanie, welche Fähigkeiten aus der Kindererziehung lassen sich am besten auf Führungspositionen übertragen?

Viele Fähigkeiten lassen sich hervorragend auf Führungspositionen übertragen, zum Beispiel:

  • Vorbild sein
  • Ziele setzen
  • Feedback geben in Form von Lob und konstruktiver Kritik
  • Sicherheit geben
  • Zeitmanagement
  • Prioritäten setzen
  • Delegieren
  • Verhandeln
  • Gelassenheit

Und wie unterstützt du Unternehmen, dass diese die Elternkompetenzen erkennen und anerkennen?

Ich arbeite mit den Führungskräften, denn sie setzen die Rahmenbedingungen für die Kultur, in der Eltern als Mitarbeiter*innen wertgeschätzt werden. Ich sensibilisiere für die Ressourcen und Kompetenzen von Eltern und die Themen, in denen sie diese mittels Best Practise einbringen können.

Wichtig ist, dass es im Unternehmen als Bereicherung empfunden wird, dass Menschen Eltern werden. Sicherlich gilt es dann, flexible Rahmenbedingungen zu kreieren … Doch meiner Meinung nach überwiegen die zusätzlichen Ressourcen und Fähigkeiten, die Eltern durch ihre Erfahrungen gewinnen, den Aufwand, gemeinsame Lösungen nach der Rückkehr aus der Babypause zu finden.

Welche Unterschiede beobachtest du in deiner Coaching-Praxis zwischen Müttern und Vätern in Bezug auf die Nutzung ihrer elterlichen Kompetenzen im beruflichen Umfeld?

Keine.
Beide Elternteile finden ihre Weiterentwicklung (ich spreche ja gern auch von Weiterbildung 😉 ) erst einmal selbstverständlich und realisieren ihren Zuwachs an Ressourcen und Kompetenzen zunächst gar nicht.

Meist kommt ihr Bewusstsein dafür erst in unserer gemeinsamen Arbeit.
„Ah, stimmt. Das hab ich wirklich erst gelernt … ausgebaut … erweitert … seit ich Mutter / Vater bin.“ Will sagen, der „Lernzuwachs“ als Eltern ist da, wird jedoch ohne Sensibilisierung dafür als selbstverständlich und nichts Besonderes erachtet. Ist das Bewusstsein dafür da, ist es umso großartiger, wie die in der Familie erworbenen Kompetenzen und Ressourcen auch im Unternehmen genutzt werden (sofern es die Kultur zulässt!).

Welche häufigen Missverständnisse über die Vereinbarkeit von Familie und Karriere klärst du regelmäßig auf?

Das wohl größte Missverständnis ist, dass es nur „entweder oder“ gibt … entweder kinderlos und erfolgreich oder Eltern und in der Karriere ausgebremst. Ich sensibilisiere dafür, dass Mitarbeiter*innen als Eltern „besser“ werden. Sie bringen wichtige Fähigkeiten mit, ohne die in diesen Zeiten kein Unternehmen und keine Organisation auskommt (siehe bitte oben unter Frage 1).

Welche Parallelen siehst du zwischen der Förderung von Kindern und der Entwicklung von Mitarbeitenden?

Die größte Parallele ist für mich folgende:

Kinder lernen durch Vorbild und Liebe.

Mitarbeiter*innen entwickeln sich durch Vorbild und Zuwendung.

 

Des Weiteren:

Entwicklung wird in einer Beziehung generiert – daheim zwischen Eltern und Kind … im Unternehmen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter*in.

            Entwicklung braucht stete empathische Kommunikation.

            Entwicklung braucht Fürsorge, sich kümmern…

Welche spezifischen Strategien empfiehlst du Eltern und Sorgeberechtigten, um ihre erlernten Kompetenzen erfolgreich in die Berufswelt zu integrieren?

Werdet .., seid euch eurer neu erworbenen, erlernten … ausgebauten Kompetenzen und Ressourcen bewusst. Nutzt die Synergie-Effekte und übertragt diese Fähigkeiten mittels Best Practise von der einen Lebenswelt (Familie) auf die andere (Unternehmen). Seid selbstbewusst!Kommuniziert euren Lernzuwachs! Weist eure Führungskräfte darauf hin! Beweist euch! Widerlegt Vor-Urteile!

#ElternzeitistWeiterbildung

Welche praktischen Tipps gibst du insbesondere Müttern in deinen Coachings, um ihre elterlichen Kompetenzen erfolgreich im beruflichen Kontext einzusetzen?

Glaubt an euch! Seid selbstbewusst … euch eurer selbst bewusst! Stellt euer Licht nicht unter den Scheffel. Macht euch eurer Kompetenzen und Ressourcen bewusst! Zeigt sie! Beweist euch!

Macht folgendes zu eurem Mantra:

Als Frauen / Mitarbeiterinnen seid ihr toll – als Mütter unschlagbar!

Wenn du mehr über Elternzeit-Management im Unternehmenskontext und die verfügbaren Unterstützungsmöglichkeiten erfahren möchtest, gibt es HIER weitere Informationen.


Front Stage: Das sagt unser Role-Model 

Anette Lippert ist Autorin des Buches "Leading Mothers", Führungskraft, Speakerin und Entrepreneurin.

In ihrem Buch hat sie mit über 65 Frauen gesprochen, die das Muttersein und ihre beruflichen Ambitionen gut verbinden.

Liebe Anette, Karriere dank Kindern- ist das auch das Fazit aus deinen Interviews?

Definitiv im Sinne von „Karriere dank Kindern“ anstatt von „Karriere oder Kinder“. Die Frauen, die ich interviewt habe, waren größtenteils der Meinung, dass ihre Erfahrungen als Mutter sie zu einer besseren Führungskraft gemacht haben. Die Care Arbeit und das Familienmanagement trainieren viele Führungsqualifikationen. Insofern sind Kinder ein Bootcamp für Führungskräfte und daher qualifizieren sie Mütter als solche. Allerdings unterschätzen viele Chefs und Cheffinnen diesen Talentpool und erwarten von Müttern eher geringe Ambitionen in Richtung Karriere. Ihnen ist noch nicht bewusst, dass Kinder zu haben ein Karrierebooster sein sollte und kein Karrierekiller.

Du hast 40 Kompetenzen zusammengetragen, die Mütter und Väter ganz automatisch bei der Kindererziehung erwerben und üben. Ist die Elternzeit damit eine Art Learning & Development Programm?

Ja, und zwar ein sehr langes, sehr intensives Programm. Alles, was mit der eigenen Familie und den eigenen Kindern zu tun hat ist emotional geprägt. Dadurch ist das Gelernte sehr nachhaltig. Die Situation, in der das eigene Kind dem Spielkameraden den Spielzeugbagger auf den Kopf gehauen hat und wie man den Konflikt mit dem anderen kleinen Kind und seiner Mutter gelöst hat, vergisst man nicht so schnell. Daher kann man das dort gelernte Krisenmanagement intuitiv in der nächsten Krisensituation im Büro anwenden.

Es ist bekannt, dass bei jedem Training Transferverlust beim Übertrag des Gelernten in den eigenen Job entstehen. Wie siehst du das bei dem praktischen Erwerb der von dir beschriebenen Kompetenzen. Sind sie eins zu eins übertragbar?

Es sind sehr viele Kompetenzen direkt übertragbar. Transferverlust gibt es weniger als in anderen Trainings, da die Trainingszeit lang und intensiv ist. Der Transfer ist allerdings vielen nicht bewusst. Ein Beispiel ist zielgruppenorientierte Kommunikation. Mit einem Kind, dass sich fortwährend verändert, passe ich auch ständig meine Wortwahl und das Level der Inhalte an. Ein Kleinkind wird anders angesprochen als ein Teenager. Genauso formuliere ich Themen für einen Kollegen, der Experte auf meinem Gebiet ist anders als für einen Vorstand. Alle haben einen unterschiedlichen Wissenshintergrund, eine unterschiedliche Aufmerksamkeitsspanne und ich verwende eine dementsprechend angepasste Sprache, um sie zu erreichen. Das trainiere ich mit Kindern, deren Erzieher*innen und Lehrer*innen und anderen Eltern jahrelang und wende das damit auch im Geschäftsleben an, ohne darüber nachzudenken.

Was können Eltern und vor allem Mütter tun, um den Kompetenzgewinn ihres Elternseins besser zu positionieren?

Als allererstes müssen sich Eltern ihrer gewonnen Kompetenzen bewusstwerden. Danach sollten sie diese Stärken auch in Bewerbungs- oder Beförderungsgesprächen kommunizieren. Natürlich nicht als niedliche Kindergeschichten, sondern in professioneller Sprache. „Als Mutter dreier Kinder trainiere ich jeden Tag Projektmanagement mit definierten Milestones in einem heterogenen Projektteam mit sich ständig ändernden Umfeld. Die Learnings aus dem familiären Umfeld habe ich bereits erfolgreich in geschäftlichen Situationen anwenden können. So ist z.B. in meinem letzten Projekt ….“

Was rätst Du den Unternehmen? Sollte dein Buch Pflichtlektüre für Unternehmen sein? 

Das würde mich sehr freuen. Ich denke, dass lebensphasenorientiere Karriereentwicklung für viele Unternehmen ein guter Weg wäre, um Talente und Fachkräfte zu finden und zu halten. Es gilt dabei vor allem, die Stereotypen gegenüber Müttern aufzubrechen – Mutterschaft bedeutet keinen Verlust von Fachwissen, Engagement oder Ambitionen. Ganz im Gegenteil.

Eine letzte Frage. Haben Unternehmen schon auf Dein Buch reagiert?

Das haben sie und das freut mich sehr. Es haben mich schon einige Unternehmen als Speakerin für ihre Führungskräfteschulungen oder Karriereförderungsprogramme von Frauen engagiert. Dort treffe ich immer auf viel Interesse und eine sehr positive Resonanz. Um Unternehmen zu ermutigen Mütter zu fördern, habe ich in meinem Buch auch zwei Best Practices von Firmen aufgezeigt.

Mehr Informationen zu Anettes Buch gibt es HIER.


Take Away: Praktische Impulse für deinen Alltag

Eine gute Methode, um die elterlichen Kompetenzen als Karrierevorteil zu nutzen, ist die Identifizierung und Nutzung von sogenannten Transfermomenten. Diese Technik ist einfach umzusetzen und lässt sich gut in den Alltag integrieren.

Und so funktioniert es:

  1. Bewusst machen: Denke an eine Situation aus deinem Alltag als Elternteil, in der du besonders gefordert warst. Dies kann eine stressige Morgenroutine, die Lösung eines Konflikts zwischen deinen Kindern oder die Organisation eines Familienausflugs sein.
  2. Analysieren: Überlege, welche Fähigkeiten du in dieser Situation eingesetzt hast. War es Geduld, Multitasking, Konfliktlösung oder Organisationstalent? Mach dir bewusst, wie du diese Fähigkeiten erfolgreich angewendet hast.
  3. Übertragen: Suche nach ähnlichen Situationen in deinem Berufsalltag, in denen du diese Fähigkeiten nutzen kannst. Zum Beispiel könntest du die Geduld, die du beim Umgang mit deinem Kind geübt hast, in Meetings einsetzen, um konstruktiv und ruhig zu bleiben.
  4.  Regelmäßig üben: Setze dir das Ziel, diese Transfermomente regelmäßig zu finden und deine elterlichen Fähigkeiten im Beruf bewusst anzuwenden. So wirst du mit der Zeit immer sicherer darin, diese wertvollen Kompetenzen zu nutzen. 

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