Führen in Teilzeit
May 05, 2024Morgens über einen Anlagebau in Spanien entscheiden, nachmittags die Kinder von der Kita abholen oder eine Fortbildung machen - der Wunsch, die Karriere mit anderen Lebensbereichen besser zu verbinden, nimmt bei Frauen wie bei Männern zu. Die Zeiten, in denen die eingeschränkte Verfügbarkeit am Arbeitsplatz oft zu Benachteiligung oder sogar Ausgrenzung führte, sind vorbei. Viele Unternehmen erkennen zunehmend, dass die Eröffnung von Karrierechancen in Teilzeit zur Sicherung von Fachkräften und ein Schlüssel zu langfristigem Erfolg ist.
Inside Insights: Auf den Punkt gebracht
Wie der kulturelle Wandel zu Teilzeitführungsmodellen gestaltet werden kann und welche Schritte nötig sind, erfährst du hier:
Eine Umstellung auf Teilzeitführungsmodelle ist eine kulturelle Veränderung, die gewohnte Denk- und Verhaltensmuster bei allen Beteiligten infrage stellt.
Dazu müssen Strukturen, IT und Prozesse angepasst werden. Kein Hexenwerk, jedoch eine Transformation, die über die Phasen Konzeption, Anbahnung, Onboarding, Umsetzung und Ausstieg sorgfältig begleitet werden muss.
2TOP unterstützt mit strategischer Beratung: welches Modell bringt dem Unternehmen größten Benefit? Und 2TOP organisiert den kulturellen Wandel und begleitet Tandems mit Seminar- und Coaching-Angeboten. Alles aus einer Hand von erfahrenen Expert*innen.
Behind the Scenes: Expert*innen-Perspektiven
Brigitta Nickelsen, Direktorin für Unternehmensentwicklung und Menschen bei Radio Bremen, teilt ihre Einblicke über die Implementierung von Teilzeit-Führungsmodellen.
Liebe Brigitta, als Direktorin für Unternehmensentwicklung und Menschen bei Radio Bremen förderst du seit über zehn Jahren Teilzeit Modelle im Sender. Welche Modelle bietet ihr inzwischen an?
Wir definieren uns grundsätzlich als familienfreundliches, soziales Unternehmen. Wir sind davon überzeugt, dass dies einer der Grundpfeiler ist, um mit hochmotivierten, engagierten und diversen Teams zu Erfolgen zu kommen. Das vorweg.
Wir bieten vor diesem Hintergrund Teilzeit an in allen möglichen Modellen, wie es die einzelnen für sich als passend definieren. Das heißt, wir haben aktuell über 20 verschiedene Teilzeitmodelle, die sich zwischen 80% und 15% Arbeitskapazität bewegen – in einigen Fällen sind es tatsächlich ganz „krumme“ Prozentzahlen, die für die Einzelne genau passen und mit dem oder der Vorgesetzten verabredet werden konnte. Wir haben auch als Unternehmensgrundhaltung definiert, dass Teilzeit-Wünsche grundsätzlich ermöglicht werden sollen von Vorgesetzten, außer es sprechen schwerwiegende, betriebliche Gründe dagegen. Das muss dann transparent gemacht werden gegenüber der Personalabteilung und dem Betriebsrat. Ich kann mich allerdings in über zehn Jahren als Direktorin an keinen entsprechenden Fall erinnern. Um für die Vorgesetzten, die Personalverwaltung und auch die Teams dieses außerordentlich flexible Vorgehen plan- und handlebar zu machen, haben wir festgelegt, dass diejenigen, die mit einer vollen Stelle bei uns gestartet sind und dann aus welchen Gründen auch immer in Teilzeit gegangen sind, sich nach 5 Jahren entscheiden müssen, ob sie in der Teilzeit bleiben möchten, ob sie ihre Kapazität erhöhen oder wieder auf eine volle Stelle gehen möchten.
Gab es einen Anlass, das Thema so voranzutreiben, oder war die Zeit einfach reif?
Das grundsätzliche Angebot der Teilzeit gab es schon, bevor ich Direktorin wurde. Gemeinsam mit dem Personalleiter habe ich die Flexibilisierung vorangetrieben und habe offensiv kommuniziert, dass Teilzeit nicht „traditionell“ nur für Frauen angeboten wird, die Kinder bekommen haben. Außerdem haben wir begonnen, intensiv dafür zu werben, dass Kolleginnen früher wieder zurück kommen nach der Geburt eines Kindes und sich möglichst gar nicht abschließend für einen Teilzeitvertrag entscheiden nach der Familiengründung.
Um das zu erreichen, habe ich gleichzeitig im Rahmen der Führungskräfte-Entwicklung Diskurse mit den verantwortlichen (damals meist noch) männlichen Führungskräften gestartet, über unser Ziel, die Führungspositionen mittelfristig paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen und was das damit zu tun hat, in Redaktionen und Abteilungen Strukturen flexibler zu gestalten, so dass es auch für die in Teilzeit arbeitende Kolleginnen möglich ist, weiter anspruchsvolle Aufgaben zu übernehmen. Es gab zum Beispiel den Fall, dass ein Redaktionsleiter zu den regelmäßigen, wichtige Kreativ-Sitzungen um 16.00 Uhr einlud. Für eine Redakteurin in Schlüsselposition verursachte dieser Termin jedes Mal eine familien-logistische Herausforderung, da die Kita ihrer beiden Söhne um 16.00 Uhr schloss. Es stellte sich heraus, dass es aus betrieblicher Perspektive keinen wichtigen Grund gab, diesen Termin auf 16.00 Uhr zu legen. Die Führungskraft empfand diese Zeit für sich als ganz passend. Die Frage nach Kita-Öffnungszeiten im Zusammenhang mit beruflichen Terminen war keine für ihn. Es war dann übrigens kein Problem, die Sitzung auf einen Termin am späten Vormittag zu verlegen, nachdem das Thema offen angesprochen worden ist. Die Kollegin wird demnächst die Leitung des Bereichs übernehmen.
Seit meiner Übernahme der Direktorinnen-Funktion haben der Personalleiter und ich gemeinsam daran gearbeitet, dass es völlig in Ordnung und „state of the art“ wurde, bestehenden Strukturen offen zu hinterfragen, um sie im Interesse von Teilzeitarbeitenden zu verändern.
Die Zeit war auch reif, intensiver dafür zu werben, dass junge Väter für eine Zeit in Teilzeit gehen, und dass auch Frauen (leider nach wie vor die Mehrheit) oder Männer in Lebensphasen in Teilzeit gehen, in denen sie alte Eltern betreuen möchten oder sich Kolleginnen und Kollegen in Lebensphasen befinden, in denen sie mehr Zeit für sich brauchen, um dann im besten Fall mit aufgefülltem Akku wieder mit voller Kraft zu uns zurückzukommen.
Welche Erfahrungen würdest du als die guten bezeichnen?
Was sich sehr positiv entwickelt hat, ist die Grundstimmung im Haus, dass sich viel mehr Frauen und Männer offensiv trauen, Arbeitsphasen in Teilzeit für sich trotzdem parallel auch als Karriere-Phasen zu sehen und darüber mit ihren Vorgesetzten ins Gespräch zu gehen. Vorgesetzte sind nach meiner Erfahrung umgekehrt viel offener, auch Menschen (meistens Frauen) in Phasen von Familienplanung in nächste Hierarchie-Positionen zu befördern. Ich habe mich sehr sichtbar immer wieder im Unternehmen dafür stark gemacht, dass Karriereschritte möglich sein müssen in jeder Lebensphase.
In den ersten Jahren haben mich jüngere Kolleginnen häufig vertraulich kontaktiert, weil sie sich auf eine spannende Stelle bewerben wollten und gleichzeitig wussten, sie würden in den kommenden zwei (oder so….) Jahren nicht Vollzeit arbeiten wollen. Ich habe viele vertrauliche Beratungsgespräche geführt, in denen ich auf der einen Seite die Interessierten sehr bestärkt habe, sich zu bewerben und gleichzeitig mit ihnen Strategien entwickelt habe, welche Konzepte sie schon in der Hinterhand haben konnten, um den Entscheidern die Phantasie „zur Verfügung zu stellen“, dass ein Teilzeitkonstrukt funktionieren wird. Das ist heute nicht mehr nötig. Mir fallen spontan mindestens 10 Beispiele ein aus den vergangenen Jahren, in denen tolle, super-kompetente Frauen kurz vor ihrer Beförderung ihre Kinder zur Welt brachten oder als Führungskraft ihr Kind bekamen, eine Weile pausierten und dann wieder voll in Führung gingen. Das war vor 15 Jahren undenkbar bei uns im Haus.
Mein Lieblingsbeispiel ist eine großartige jüngere Kollegin, die vor einigen Jahren in meinem Verantwortungsbereich die Leitung des Controllings übernehmen sollte. Sie bat um ein vertrauliches Gespräch mit mir, um mir zu eröffnen, dass sie die Leitungsposition nicht übernehmen könne, da sie schwanger sei und in einigen Monaten zunächst für eine Weile aussteigen würde. Ich habe das Ansinnen von ihr natürlich abgelehnt und sie befördert. Einige Monate später wurde sie Mutter von Zwillingen, blieb eine Weile zuhause und kam dann noch innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt der Kinder mit 80%-Rate wieder zurück. Ein Teil der Rate hat sie – lange vor Corona – im Homeoffice gearbeitet. Die Kollegin macht einen super Job und sie hat mir einige Jahre später gesagt, wenn sie diese Unterstützung von mir und ihren direkten Vorgesetzten in der Zeit der Schwangerschaft nicht gehabt hätte, wäre sie nicht bereit gewesen, nach relativ kurzer Zeit wieder für uns und mit uns zu arbeiten.
Gibt es auch schlechte Erfahrungen oder habt ihr Anpassungen über die Zeit vorgenommen?
Ja, die wichtigste Anpassung, die wir vorgenommen haben, ist die oben bereits angesprochene Begrenzung auf fünf Jahre für Teilzeitmodelle auf Zeit. Die haben wir erst vor einigen Jahren festgelegt, weil die komplett offene Flexibilität für die Arbeitnehmenden – häufig über Jahre – gleichzeitig eine hohe Belastung für die Führungskraft, die Personalabteilung und auch das Team bedeutet, weil zum Teil jährlich wieder neu zu klären war, wie es mit den Kapazitäten, Zeitverträgen etc… funktionieren kann und weitergeht. Die unbefristete Option und die Möglichkeit, sich von Jahr zu Jahr neu erklären zu können, war für die Teilzeitarbeitenden großartig, für alle anderen nicht gut.
Einige wenige, die in der Zeit der Umstellung in Teilzeit gearbeitet haben, empfanden dies als „Druck“ vom Arbeitgeber und konnten die Perspektive der anderen Beteiligten nicht nachvollziehen. In der großen, überwiegenden Mehrheit erlebe ich diese Anpassung als akzeptiert. Viele, die von anderen Unternehmen zu uns kommen, spiegeln uns, wie wertvoll und wertschätzend sie unsere Angebote empfinden und dass sie solche Modelle in anderen Unternehmen als „undenkbar“ erlebt haben (deshalb zum Beispiel auch gegangen sind und sich bei uns beworben haben).
Wieviel Prozent der Führungspositionen hältst du in eurem Unternehmen als geeignet für Teilzeitführung? Kann man die Zahl in etwa auf andere Unternehmen übertragen?
Hm…. Das ist eine absolut berechtigte und gleichzeitig schwierige Frage. Wenn ich es radikal und konsequent denke, unbelastet von den einen oder anderen Detailkenntnissen, würde ich sagen „jede Führungsposition bei uns kann im Tandem auch in Teilzeit gestaltet werden“. Ein Lebensmotto von mir ist ja – frei nach Pippi Langstumpf – „das haben wir noch nie so gemacht, also kann es nur gelingen.“ Das heißt: Ich kann mir gerade keine Führungsposition bei uns vorstellen, die nicht in Teilzeit möglich wäre, wenn alle Beteiligten es wollen und es klug aufgestellt wird. Und – ja, wenn wir das radikal zu Ende denken - könnte es bedeuten, dass auch der Intendant*innen-Job (CEO) von zwei Menschen übernommen werden könnte. Ich bin mir sehr sicher, dass das Unternehmen, die Aufsichtsgremien und die Gesellschaft, also wir alle gemeinsam, zurzeit noch nicht reif sind für so ein Modell.
Zurück zu den Führungspositionen unterhalb der Intendantin: Es gibt jede Menge Positionen bei uns, bei denen es sich die aktuellen Akteure, die die Position bekleiden, wahrscheinlich nicht vorstellen können, dass ihre Aufgabe in Teilzeit, geteilt, übernommen werden könnte. Das liegt daran, dass wir grundsätzlich dazu tendieren, neue (radikale?) Ideen zu denken, indem wir die Idee abgleichen mit dem, wie es jetzt gerade ist und vielleicht über Jahrzehnte schon immer so war. Wenn man sich so der Frage nach der Möglichkeit nähert, dann ist ein neues Teilzeit-Führungsmodell kaum vorstellbar. Allerdings bringt uns das nicht weiter, wenn wir Führung und das Gestalten von Führungspositionen zukunftsorientiert nach vorn weiterdenken wollen. Die Herausforderung ist das Denken außerhalb der Box, kombiniert mit einem gemeinsamen, unbedingten Willen, entsprechend neue Strukturen erfolgreich möglich zu machen.
Zurück zur Frage: Ich wünsche mir, dass es uns mittelfristig gelingt, 30% aller Führungspositionen in Teilzeit organisiert und gelebt zu sehen. 30% ist bekanntermaßen die Zahl, die es braucht, dass etwas Neues nicht mehr wahrgenommen wird als etwas „Besonderes“, das in besonderem Fokus steht. Wenn wir es also schafften, 30% unserer Führungspositionen geteilt zu besetzen, würde die Annahme dieses Modells den Charme des Normalen bekommen und Führungspositionen würden so oder so oder anders besetzt werden und vieles wäre „normal“ zwischen „Full time“ oder eben anders. Von diesem Ziel sind wir allerdings noch sehr weit entfernt. Führung in Teilzeit ist auch bei uns immer noch eine Ausnahme. Auch wenn wir bei vielen Positionen mit Verantwortung, die wir ausschreiben, inzwischen formulieren, dass diese Stelle auch denkbar ist für ein Teilzeitmodell.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass auch in anderen Organisationen die 30% auf jeden Fall möglich sind.
Gibt es Herausforderungen oder Nachteile für Personen, die in Teilzeit führen?
Noch ein „hm…“
Die Herausforderung ist sicher, dass diejenigen sehr, sehr gut strukturiert arbeiten müssen, sehr reflektiert gemeinsam die Rolle ausfüllen und resilient, selbstbewusst, kommunikativ, souverän und gleichzeitig offen für Rückmeldungen aus der Organisation sein müssen. Das sind alles Eigenschaften, die ich mir von jeder Führungskraft wünsche. Nur, wenn zwei Personen eine Position gemeinsam bekleiden, und das Modell noch neu und ungewohnt ist, wird jede Unsicherheit oder Unklarheit, jeder Fehler und jedes Missverständnis viel stärker negativ ausgelegt werden, als wenn einer einzelnen Führungskraft ein vergleichbarer Fehler unterläuft.
Es ist insgesamt eine große Herausforderung, die allerdings nach meiner Erfahrung viel Spaß machen kann.
Du führst selbst auch in Teilzeit. Hast du Tipps für andere Frauen, die sich mit dem Gedanken tragen, in Teilzeit führen zu wollen?
Ja:
- den Gedanken mutig und kreativ nach vorn denken;
- sich parallel gedanklich in die Schuhe des Unternehmens und des zu führenden Teams stellen: Was braucht es in dem Modell an Struktur und Verabredungen, damit das Business gut weiterläuft und das Modell nicht nur als „private Selbstverwirklichung“ wahrgenommen wird;
- Kontakt suchen zu anderen Frauen (oder Männern), die Führung in Teilzeit bereits leben, nach Erfahrungen und Tipps fragen;
- sich Mitstreiterinnen und Mitstreiter suchen;
- Realistisch die Lage sondieren, wie das Klima im eigenen Unternehmen in Bezug auf so einen Plan ist; es kann sein, dass die Organisation noch nicht „reif“ dafür ist, dann lieber einen neuen Arbeitgeber suchen.
Welche Hinweise würdest du Unternehmen geben, die überlegen Führen in Teilzeit einführen zu wollen?
Es braucht aus meiner Sicht ein eindeutiges Commitment von den Entscheidern oder Entscheiderinnen – und es ist ein mutiger Schritt, denn man kann vor Beginn entsprechender Modelle nach meiner Erfahrung nicht alle Fragen beantworten, die auftauchen. Also: Es ist ein mutiges Commitment in einer Unsicherheitszone gefragt.
Allerdings können und sollten Rahmen festgelegt werden
Zum Beispiel:
- Wird eine geteilte Führung mit 2x 60%-Kapazität finanziert oder nur 2x 50%?
- Jedes Modell ist nur so gut und wird mittelfristig bestehen bleiben, wie es das Unternehmen auch voranbringt.
- Definieren: In welchen Bereichen können wir uns entsprechende Modelle vorstellen, wo wollen wir zunächst nicht beginnen?
- Wie definieren wir „Erfolg“ eines Modells: Ausschließlich in Zahlen? Hat es auch andere Aspekte wie „Erscheinen als attraktiver Arbeitgeber“?
- Budgetiert das Unternehmen Teamentwicklungsunterstützung für Führungstandems und ggf. auch für das betroffene Team? (Sollte unbedingt geschehen nach meiner Erfahrung).
- Etc…
Es braucht auch eine klare, eindeutige Kommunikation ins Unternehmen, dass solche Modelle gewünscht sind und ermöglicht werden sollen.
Und ich würde empfehlen, durch verschiedenste Aktivitäten (Erfahrungsaustausch, Best Practice-Geschichten, etc…) bewusst ein Klima zu schaffen, in dem sich Menschen vorstellen können, sich für Führung in Teilzeit zu bewerben beziehungsweise Führung in Teilzeit möglich zu machen.
Eines möchte ich zum Schluss noch sagen: Es lohnt sich wirklich, wirklich, an Führung-in-Teilzeit-Modellen zu arbeiten und es wird in den kommenden Jahren einer DER Punkte sein, der für kompetente, tolle, ambitionierte Nachwuchs-Managerinnen den Unterschied machen wird, wenn sie sich für ein Unternehmen entscheiden.
Front Stage: das sagt unser Role-Model
Carla Zapf ist Director Procurement und leitet das weltweite Fleet and Travel Management von Infineon in Teilzeit. Wir haben mit ihr über die Auswirkungen, Herausforderungen und Grundpfeiler von Teilzeitführung gesporochen.
Liebe Carla, du führst seit einigen Jahren in Teilzeit internationale Teams, derzeit über drei Kontinente und fünf Zeitzonen verteilt Wie geht es dir dabei?
Kurzum – sehr gut. Ich habe auch die normalen Höhen und Tiefen; Zeiten, in denen ich mehr zu tun habe, und Zeiten, die das wieder ausgleichen. Ich kommuniziere aber sehr klar, was ich wann leisten kann und was nicht.
Wann hast du dich für Teilzeit entschieden und was war der Anlass dafür?
Bei mir war es der Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Ich bin sogar mit dem Wiedereinstieg erstmalig in die disziplinarische Führungsverantwortung gekommen.
Dazu möchte ich aber ein bisschen Ausholen: Als ich Mutter wurde, fühlte ich mich zum ersten Mal gesellschaftlich diskriminiert. Ab diesem Moment musste ich härter Kämpfen, um das Gleiche zu erreichen. Ich konnte als Mutter nicht einfach basierend auf meinem Rechtsanspruch nach Kinderbetreuung meinen Wiedereinstieg planen. Die Entscheidungsträger bei der Vergabe der Betreuungsplätze haben letztlich mitbestimmt ob, wann und wie ich beruflich wieder anfangen konnte.
Ich wollte mich beruflich weiterentwickeln bzw. mindestens auf dem Aufbauen, was ich mir vor der Elternschaft erarbeitet hatte. Mein kommunales Engagement für Betreuungsplätze führte dann sogar zu einer (wenn auch erfolglosen) Kandidatur für den Stadtrat.
Der Wiedereinstieg ist ein verletzlicher Moment. Neben der Kinderbetreuung ist auch der Kontakt ins Unternehmen wichtig. Ich würde jedem Elternteil raten, zur Führungskraft und zum Unternehmen Kontakt zu halten und in Beziehung zu bleiben. Taucht nicht über eine lange Elternzeit unter. Das erleichtert den Prozess gemeinsam eine gute Lösung für die Rückkehr zu finden.
Du bist nach deutscher Zeit nachmittags nicht verfügbar. Dann ist woanders vormittags, früher Morgen oder später Abend. Ist es egal, wann du nicht verfügbar bist, wenn sich alle erst einmal daran gewöhnt haben?
Meine Arbeit ist geprägt von der Interaktion mit Anderen. Daher bin ich nicht zeitlich völlig flexibel. Asien und Europa decke ist zeitlich gut ab. Für die Kollegen in USA habe ich immer einen langen Tag an dem ich Meetings ermöglichen kann.
Führen in Teilzeit ist noch nicht die Regel und Ausnahmen bringen oft Herausforderungen mit sich. Welche sind für dich besonders relevant zu managen oder zu beobachten?
Unerlässlich ist, dass der Scope der Stelle auch grundlegend mit der vertraglichen Arbeitszeit machbar ist. Genauso wird man die Mindestarbeitszeit für Führung in TZ ausloten müssen. Ich arbeite z.B. 80% - 32h/Woche.
Es besteht aber das Risiko, sich nur das Recht zu erkaufen früher zu gehen aber trotzdem fast Vollzeit zu arbeiten. Um das zu verhindern, ist Abgrenzung ohne Schuldgefühl, Klarheit und auch Prioritäten setzen nötig. Frauen tendieren vielleicht dazu, zu nett zu sein oder ihre Meinungen nicht klar genug zu vertreten. Es gibt kein Grund sich zu entschuldigen, Meetings außerhalb der Arbeitszeit nicht anzunehmen und um Verschiebung zu bitten. Es ist auch die Rücksicht der anderen gefragt auf Kalendereinträge zu achten und Arbeitszeiten zu respektieren. Auf der anderen Seite bleibe ich flexibel und ermögliche ich auch Meetings außerhalb der Arbeitszeit. Es muss nur eher die Ausnahme bleiben.
Hast du besondere Strategien dich zu organisieren?
Ich habe einen langen Tag ohne harten Anschlag. Mein Mann arbeitet auch in Teilzeit – montags ist Papa-Tag. Ich finde auch Freitage unglaublich wertvoll und arbeite in einer 5 Tage Woche. Freitags sind terminlich entzerrter und ich schaffe spätestens dann die Themen, die über die Woche liegen geblieben sind.
Hat das Führen in Teilzeit Auswirkungen auf deine Teams? Und wenn ja, welche?
Mein Team in Deutschland ist auch zu großen Teilen in Teilzeit. Ich denke, sie schätzen mich sogar als Role Model
Wichtig für ein Team ist der Zugang zur Führungskraft bzw. Verfügbarkeit. Ich achte darauf, ausreichend Zeit für Austausch und Guidance zu haben – auch kurzfristig. Die Frage wieviel mein Team mich „braucht“, hängt auch vom Empowerment ab.
Da du Empowerment ansprichst – was braucht es noch für Führung in Teilzeit?
Es braucht Klarheit in der Führung, der Kommunikation, bei Rollen und Verantwortlichkeiten, Erwartungen, Zielen und den Entscheidungswegen. Alles Eigenschaften guter Führung. ;-) Und das passiert nicht zwischen 15:00 und 18:00 Uhr.
Welche Tipps hast du für andere Frauen, die sich mit dem Gedanken tragen, in Teilzeit führen zu wollen?
Zunächst sollte man sich gut überlegen, wieviel man leisten und arbeiten kann bzw. will, damit es einem dauerhaft auch wirklich gut geht. Das sollte transparent kommuniziert sein.
Sei dir im Klaren, was du gut kannst und stell dann dein Licht nicht unter den Schäffel. Es gibt keinen Grund, sich für Teilzeit zu entschuldigen. Es ist ein Geben und ein Nehmen, die Stelle ist so geplant und bezahlt.
Aber um das Ganze von allen Seiten zu berichten: Es gibt auch schwierige Zeiten als Führungskraft. Die muss man manchmal aushalten - ob Teilzeit oder Vollzeit.
Welche Hinweise würdest du Unternehmen geben, die überlegen Führen in Teilzeit einführen zu wollen?
Unternehmen würde ich raten, denkt nicht in HC, plant in FT und Budgets. Es liegt viel Potential in den Mitarbeitern, die nicht mehr in Vollzeit arbeiten können oder wollen. Das sollte man als Unternehmen nicht liegen lassen, nur weil Stellen auf 40H++ konzipiert sind. (Stichwort Race for Talents).
Letztlich sind es aber die Führungskräfte, die über den Scope der Stelle entscheiden. In meiner Rolle als Führungskraft habe ich den Gestaltungsspielraum, um produktive Teams zu führen. Ich achte z.B. darauf, dass die Arbeitszeiten meiner Teilzeitkräfte möglichst viel Overplap haben.
Über allem steht ein Kultur- und Generationenwandel und eine Weiterentwicklung in unseren Arbeitsmodellen.
Teilzeit wird sich aus der „Mütterecke“ entwickeln. Die Elternschaft mag zwar einer der häufigsten Gründe sein, aber das Thema betrifft alle Mitarbeiter, die Ihre Priorität nicht zu 100% der Arbeit und dem Unternehmen geben können oder wollen. Sei es Care-Arbeit im Allgemeinen oder auch der Ausgleich in anderen Aktivitäten/Bereichen – der wiederum dazu beiträgt überhaupt leistungsfähig zu sein und zu bleiben.
Liebe Carla, danke für deine Antworten und das inspirierende Gespräch
Take Away: Praktische Impulse für deinen Alltag
Führen in Teilzeit wird immer mehr zum Game-Changer in der modernen Arbeitswelt, sowohl für Unternehmen als auch für Führungskräfte. Hier einige praktische Impulse zur Umsetzung:
Für Unternehmen
Konzeptionell: Modelle einführen, die einen Nutzen für das Unternehmen darstellen und diesen kommunizieren.
Strukturell: Mehrkosten und Aufwand als gute Investition über systematische Evaluierung belegen.
Kulturell: Leistung und Ergebnisse anerkennen – statt reine Anwesenheit.
Für Teilzeit-Führende
Kommunikation: Regelmäßige Kommunikationsinstrumente und Kanäle mit Team, Führungskraft und Leadership-Partner*in etablieren.
Verkäufe: Vorhersehbar verfügbar sein; Überlappungszeiten einplanen.
Flexibilität: In dringenden Fällen Erreichbarkeit möglich machen.
2TOP unterstützt Unternehmen bei der Auswahl der passenden Modelle, bei der Einführung und bei der anfänglichen Begleitung des Tandems.
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